Zensurslifpi schlägt den Boten tot

April 2, 2011 § 2 Kommentare

Zensur ist, wenn man trotzdem lacht. Aber das Lachen bleibt einem im Halse stecken, wenn private Institutionen mit richterlicher Hilfe die Wahrheit unterdrücken.

Wobei, ich gebe es zu: Das mit der „richterlichen Hilfe“ mutmasse ich lediglich. Aber der Reihe nach: Am 2. April 2011 publizierte die Aargauer Zeitung einen detailliert recherchierten Artikel über ein offensichtliches Steuerspar-Modell, in welches einige Exponenten der IFPI involviert sind. Das Wort „Steuerspar-Modell“ ist bewusst sehr vorsichtig gewählt, denn im Klartext handelt es sich offensichtlich um Beihilfe zum Steuerbetrug.

Statt nun die ganze Geschichte zusammenzufassen, sei sie hier im Original zitiert:

„Beamte sehen sich Musiklobby an
Steuern Deutsche Behörden haben Personen aus dem Umfeld des Musik-Verbandes IFPI im Visier

«Game Over». Mit dieser Aktion begann der Interessenverband der Musikindustrie IFPI (unter anderem Universal, Sony, EMI) vor sechs Jahren die Offensive gegen «Raubkopierer» – Personen, die im Web Musikdateien verteilten.

Ende 2005 seien bereits 1500 Fälle in der Schweiz verfolgt worden, berichtete der IFPI-Schweiz-Geschäftsführer. Er bezog sich dabei auf die für ihn eindeutige Gesetzeslage. Im Verlauf von «Game Over» zerrte die IFPI weitere Privatpersonen vor Gericht, die Musik über Tauschbörsen verbreiteten. Meist einigte man sich aussergerichtlich auf Schadenersatzzahlungen von bis zu 10000 Franken.

Neben den dauernden Angriffen mutmasslicher Raubkopierer müssen sich Vertreter der IFPI nun einer unerwarteten Attacke erwehren: Laut Informationen der az interessieren sich seit Wochen mehrere deutsche Behörden fürs Umfeld der IFPI Schweiz wegen Steuerfragen.
Schweizer AG für Lizenzen

Auf die IFPI wurden die Steuerbeamten durch die Zürcher Firma IPGate aufmerksam. Die IPGate gehört einer deutschen Erfinderfamilie, welche die Firma zur Verwertung des geistigen Eigentums einschaltete. Deren Statthalter: der IFPI-Geschäftsführer.

Mitte April 2010 deponierte die IPGate bei der zentralen Steuerstelle Deutschlands ein Begehren auf «Freistellung inländischer Einkünfte vom Steuerabzug». Um in den Genuss dieses Erlasses zu kommen, müssen einige Voraussetzungen erfüllt sein. Etwa der Nachweis, dass die Firma nicht einfach aus einem Briefkasten besteht. Für diesen Nachweis helfen Angestellte. Auch ein Domizil ist von Nutzen, das nicht bekannt ist als Absteige anderer Körperschaften, bei denen die gleichen Leute die Finger im Spiel haben.

Der IFPI-Geschäftsführer präsentierte Bonn die gewünschten Nachweise und erläuterte, warum er mit den Deutschen ins Geschäft kam: Es bestehe eine langjährige Freundschaft und man sei in ähnlichen Geschäftsfeldern tätig. Steuerliche Belange für den IPGate-Sitz in Zürich seien nicht ausschlaggebend gewesen, beteuerte er. Seine Argumente stiessen in Bonn auf offene Ohren. Am 8. Oktober 2010 wurde der IPGate die gewünschte Freistellung gewährt, die Vergütungen flossen in die Schweiz.
Telefonkonferenz sorgt für Fragen

Alles lief für die IPGate. Doch per Zufall schöpften Personen lokaler deutscher Finanzbehörden Verdacht. Man gelangte an Dokumente, die Fragen aufwerfen – sie liegen der az vor.

Ende August 2009 hielt der Vorstand der IFPI eine Telefonkonferenz ab. Traktandiert waren unter anderem die Punkte «Adresse IFPI Schweiz» und «Personal». Zwei Vorstände wollten die Adresse der IFPI ändern. Von der Toblerstrasse 76a in Zürich sollte man an die Kantstrasse 30 ziehen.

Der Antrag wurde gutgeheissen – doch die Kantstrasse 30 gibt es in Zürich nicht. Heute residiert die Musikindustrie-Lobby an der Kraftstrasse 30. Sowohl die Kraftstrasse 30 wie auch die Toblerstrasse 76a gehören zum gleichen Haus – der Umzug fand nur virtuell statt.

Die Parzelle des Gebäudes ist laut Grundbuchamt auf eine Person eingetragen, die ebenfalls für die IFPI Schweiz in Erscheinung trat – als Kläger gegen Tauschbörsennutzer.

Beim Thema «Personal» machte der IFPI-Geschäftsführer dem Vorstand etwas «schmackhaft». Zwei IFPI-Angestellte sollten nicht direkt von IFPI Schweiz entlöhnt werden, sondern von der IPGate. Als Vorteil dieser Lösung für die IFPI steht im Protokoll: «Ich kann jetzt besser Personen suchen, da ich mich nicht verstecken muss. Momentan kann ich nicht unter IFPI Schweiz nach aussen auftreten.» Als Vorteil für die IPGate steht im Dokument: «Kann durch Angestellte besser den steuerrechtlichen ‹Aktivitätsnachweis› erbringen, um die deutsche Abzugssteuer (eine Art Quellen- respektive Verrechnungssteuer) bei Lizenzgeschäften zurückzufordern.» Der Vorstand war gemäss Protokoll auch mit dieser Lösung einverstanden. Später berichtete der IFPI-Geschäftsführer den Bonner Steuerbehörden zur Funktion der zwei Angestellten: «Diese Personen tragen wesentlich zur Weiterentwicklung der IPGate AG bei» – obwohl sie ja offiziell für die IFPI tätig waren.

Diese Vorkommnisse erregen in Deutschland Misstrauen. Auch wenn dort momentan steuerliche Untersuchungen laufen, für alle Involvierten gilt die Unschuldsvermutung.
IFPI: Externe Prüfung angeordnet

Der IFPI-Schweiz-Präsident nahm zu konkreten Fragen der az keine Stellung. Er hielt jedoch fest, die Vorwürfe seien verunglimpfende Behauptungen und Anschuldigungen an den Verband. Und: «Der Vorstand der IFPI erachtet zwar alle Vorwürfe als haltlos, hat aber dennoch eine rechtliche Prüfung durch externe Stellen angeordnet. Bei Vorliegen der Ergebnisse wird der Vorstand entscheiden, ob und wenn ja, in welcher Form Handlungsbedarf besteht und gegebenenfalls darüber informieren. Bis dahin können wir keine weitere Stellung dazu nehmen.»

Auf Anfrage sagte der IFPI-Geschäftsführer in seiner Eigenschaft als IPGate-Verwaltungsrat: «Wir haben keine Anzeichen, dass Finanzämter in Deutschland aktiv wurden.»

Verfasst wurde diese Geschichte von Christian Bütikofer, der sich in der Vergangenheit journalistisch mit allerlei Halbwelts-Gestalten herumschlagen musste. Und seine Geschichten blieben jeweilen im Blatt.

Als er es jetzt aber mit der IFPI aufnehmen wollte, war der Gegner offensichtlich zu gross. Schon wenige Stunden, nachdem die Story online gestellt worden war, musste die „Aargauer Zeitung“ sie vom Netz nehmen. Es lässt sich lediglich vermuten, was hier im Hintergrund abgegangen ist: Die Anwälte von IFPI, Universal Music und EMI haben sich wohl mit geballter Kraft an die AZ Media gewandt, um unter Androhung schrecklicher juristischer Qualen den Artikel zum Verschwinden zu bringen. Denn das einzige, was von ihm noch übrig blieb, war diese Entschuldigung, die am Ende nur blanker Hohn ist:

Denselben Text findet man man, wenn der Artikel via Google gesucht wird oder auf der Homepage der anderen Kopfblätter der Aargauer Zeitung. Immerhin lassen sich via Google-Bildersuche noch einige wenige Informationen finden, die dokumentieren, dass der Artikel wohl durchaus korrekt recherchiert worden ist und mit Belegen unterlegt wurde.

Fazit: Die IFPI mag wohl gerne ein paar Schreibhuren, welche für sie oder in ihrem Auftrag etwas schreiben. Auseinandersetzung mit der Wahrheit ist bei der IFPI aber offensichtlich nicht gefragt.

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